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OLG Köln AZ 6 U 239/11 Urteil vom 16. Mai 2012: Brot und Steine für Abgemahnte

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Das OLG Köln AZ 6 U 239/11 hat am 16. Mai 2012 die Entscheidung des LG Köln AZ 28 O 482/10  aufgehoben. Das Oberlandesgericht hat  abgemahnten Anschlussinhaber die Hand gereicht, aber gleichzeitig wieder einmal an einigen Punkten Steine gegeben, aber der Reihe nach:

1. Bestreiten der Rechtsverletzung:

Die Begehung der Rechtsverstöße Ober den Internetanschluss der Beklagten steht jedoch fest, nachdem das Anbieten desselben Computerspiels innerhalb einer Woche unter zwei verschiedenen von der Klägerin ermittelten dynamischen IP­Adressen jeweils derselben zuvor unbekannten Anschlussinhaberin zuge­ordnet wurde. Denn dass es kurz nacheinander zweimal zu Fehlern bei der Erfassung und Zuordnung gekommen sein könnte, liegt so fern, dass Zweifel an Richtigkeit der Anschlussidentifizierung schweigen (§ 286 ZPO).

Hier offenbart sich ein Riesenproblem, denn wenn bereits bei zwei Ermittlungen die Kammer davon überzeugt ist, dass die Rechtsverletzung stattgefunden hat, dann werden die Gerichte in Kürze von Verfahren überschwemmt. Denn wenn Masse statt Klasse tatsächlich ausreicht, dann kann wirklich jeder IT-Student eine Logg Firma eröffnen und für unter 20,00 EUR IP-Adressen anbieten, die Masse wird es richten. Auch wenn auszugehen ist, dass hier nicht besonders viel vorgetragen wurde, steht diese Entscheidung im klaren Widerspruch zu der aktuellen Entscheidung des  OLG Köln 6 W242/11 nicht mehr jede Ermittlungsfirma vor sich hin arbeiten zu lassen sondern genauer hinzusehen. Im Strengbeweisferfahren kann nichts anderes gelten.

2. Täterschaft des Beklagten:

a) Die Ansprüche des verletzten Rechteinhabers richten sich in erster Linie gegen den Verletzer, also denjenigen, der die Rechtsverletzung als Täter ­selbst, gemeinsam mit anderen oder mittelbar Ober unselbständig handelnde Dritte — begeht. Für ein solches täterschaftliches Handeln der Beklagten hat die Klägerin keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dargelegt und unter Beweis gestellt.

aa) Die Täterschaft des beklagten Anschlussinhabers ist als anspruchsbe­gründende Tatsache nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen vom Kläger darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Zu seinen Gunsten gei­ten dabei gewisse Beweiserleichterungen: Wird ein geschütztes Werk von einer IP-Adresse aus öffentlich zugänglich gemacht., die zum fraglichen Zeit­punkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht eine tatsächliche Vermu­tung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist; daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGHZ 185, 330 = GRUR 2010, 633 = WPR 2010, 912 [Rn, 121— Sommer unseres Lebens; vgl. Senat, GRUR-RR 2010, 173 [1741; Urt. v. 23.03.2012 ­6 U 67/11), Eine Umkehr der Beweislast ist damit aber ebenso wenig ver­bunden wie eine über seine prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinha­bers, dem Gegner alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (vgl, BGH, WW 2007, 155 [1561 m.w.N,; Zöller / Greger, ZPO, 29. Aufl., vor § 284 Rn. 34; Prütting / Gehrlein / Laumen, ZPO, 4. Aufl., § 286 Rn. 73). Steht der Beweisführer — wie der Rechteinhaber in Bezug auf Vor­gänge in der Sphäre des Anschlussinhabers — außerhalb des für seinen An­spruch erheblichen Geschehensablaufs, kann vom Prozessgegner (zur Vermeidung der Geständnisfiktion aus § 138 Abs, 3 ZPO) im Rahmen des Zu­mutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Dar­legung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände ver­langt werden (vgl. BGH, WW 2008, 982 [Rn. 161; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 31.08.2010 — 11 U 7/10 (Rn. 31 bei jurisj). Diese sekundäre Darle­gungslast geht aber in der Regel nicht so weit, dass der Anschlussinhaber durch eigene Nachforschungen aufklären müsste, wer Täter der Rechtsver­letzung ist (vgl. OLG Hamm, MMR 2012, 40).

Damit hat das OLG Köln der „Ross und Reiter Rechtsprechung“ des LG Kölns eine klare Absage erteilt (wobei die Ross und Reiter Entscheidung des LG Kölns inronischerweise niemals rechtskräftig wurde, aber dennoch gefühlt in jedem Gerichtsverfahren in seitenlangen Textbausteinen zitiert wird). Der oder die Beklagte muss nicht sagen, „wer es war“, um nicht selber als Täter in Anspruch genommen zu werden. Dies ist einfach falsch und hat hoffentlich mit diesen klaren Ausführungen sein Bewenden.

Erst recht obliegt dem Anschlussinhaber nicht der Beweis des Gegenteils in dem Sinne, dass er sich bei jeder über seinen Internetzugang begangenen Rechtsverletzung vom Vorwurf der täterschaftlichen Begehung entlasten oder exkulpieren muss [ Hervorhebung durch Verfasser dieses Beitrags]. Die oben erwähnte — tatsächliche — Vermutung sei­ner Verantwortlichkeit beruht nämlich (mangels einer dem § 831 Abs. 1 S. 2 BGB oder § 18 Abs. 1 S. 2 StVG entsprechenden Regelung) nicht auf einer gesetzlichen Wertung, sondern wie der (nach herrschender Meinung nicht auf individuelle Willensentschlüsse anwendbare) Beweis des ersten An­scheins (vgl. Zöller I Greger, a.a.O., Rn. 29, 31; Prütting / Gehrlein I Laumen, a.a.O., Rn. 25 ff., 37 m.w.N.) auf der Annahme eines der Lebenserfahrung entsprechenden Geschehensablaufs, wonach in erster Linie der Anschluss­inhaber seinen Internetzugang nutzt, jedenfalls über die  Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Diese Annahme wird  erschüttert und die Vermutungsgrundlage beseitigt, wenn Umstände feststehen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines ande­ren Geschehensablaufs — nämlich der Alleintäterschaft eines anderen Nut­zers des Internetanschlusses — ergibt. Dafür wird es regelmäßig genügen, wenn Hausgenossen des Anschlussinhabers –  wie sein Ehegatte — selb­ständig auf den Internetanschluss zugreifen können [Hervorhebung durch Verfasser dieses Beitrags]; mit dieser Begründung hat der Senat der Beklagten in erster Instanz bereits Prozesskostenhilfe für ihre Rechtsverteidigung bewilligt (Beschluss vorn 24.03.2011 — 6 W 42/11 = MMR 2011, 396 m.w.N,).

Die Klägerin macht geltend, die Möglichkeit der tatsächlichen Nutzung von Internetanschlüssen durch mindestens eine weitere Person neben dem An­schlussinhaber sei der Standardfall, so dass bei Zugrundelegung der Auffas­sung des Senats die Vermutung regelmäßig leerlaufe und die Rechteinhaber praktisch rechtlos gestellt würden. Damit verkennt sie Begründung und Reichweite der in Rede stehenden Beweiserleichterungen, durch die kein zusätzlicher Tatbestand der täterschaftlichen Haftung von Internetanschluss­inhabern geschaffen oder diesen die Führung des Negativbeweises aufge­bürdet, sondern lediglich den beschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten der Rechteinhaber Rechnung getragen werden soll.

Störerhaftung der Beklagten:

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin haftet die Beklagte als inhaberin des Internetanschlusses für die streitbefangenen Urheberrechtsverletzungen auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung oder unter dem Ge­sichtspunkt des gefahrerhöhenden Verhaltens aus der Verletzung einer Ver­kehrspflicht.

aa) Als Störer kann analog § 1004 BGB bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer — ohne Täter oder Teilnehmer zu sein — in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt (BGH, GRUR 2011, 152 = WRP 2011, 223 irsn. 451 — Kinderhochstühle im Internet). Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverant­wortlich handelnden Dritten genügen, Sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (BGH, GRUR 2004, 438 [442] – Feriendomizil 1). Da die Störerhaftung nicht Ober Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die die rechtswidrige Beeinträchti­gung nicht selbst vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings die Verletzung zu­mutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten, voraus, Ob und inwieweit dem Störer als in Anspruch Genommenem eine Prüfung zu­zumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (BGHZ 185, 330 -= GRUR 2010, 633 WPR 2010, 912 [Rn, 19] — Sommer unseres Lebens; GRUR 2011, 1038 WRP 2011, 1609 [Rn. 20] — Stiftparfüm; vgl. BGH [V. Zivilsenat], GRUR 2011, 321 [Rn. 15]). Eine Prüfpflicht kann bereits mit Inbetriebnahme einer technischen Einrichtung entstehen, setzt dann aber eine schon dadurch ein­tretende Gefährdung absoluter Rechtsgüter Dritter voraus (vgl. BGHZ 185, 330 = GRUR 2010, 633 = WPR 2010, 912 [Rn. 24] — Sommer unseres Le­bens; BGH [V, Zivilsenat], GRUR 2011, 321 (Rn. 16]).

bb) Im Verhältnis der Beklagten zu ihrem verstorbenen Ehemann ist hier kei­ne solche Verletzung zumutbarer Prüfpflichten festzustellen.

Im Streitfall sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte wusste oder annehmen musste, ihr Ehepartner werde über ihren Internetanschluss Rechtsverletzungen begehen, die sie durch zumutbare Maßnahmen verhindern konnte. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass es auch noch nach der Abmahnung der Klägerin zu Urheberrechtsverstößen unter Benutzung des Internetzugangs gekommen ist.

Von einer anlasslosen zumutbaren Prüf- und Kontrollpflicht der Beklagten gegenüber, ihrem Ehemann ist dagegen nicht auszugehen. Wie der Senat bereits an anderer Stelle (Beschluss vom 24.03.2011 — 6 W 42/11 = MMR 2011, 396) näher ausgeführt hat, bestehen im Verhältnis einer Ehefrau als Internetanschlussinhaberin zu Ihrem Ehemann als überwiegendem Nutzer eines solchen Anschlusses keine vergleichbaren Kontrollpflichten wie im Verhältnis der Eltern zu ihren — insbesondere minderjährigen — Kindern oder anderen Hausgenossen.

Im Ergebnis also eindeutig keine Überwachungsplicht von Ehegatten untereinander. Das ist richtig und überzeugend erläutert. Für den Praktiker ist entscheidend, wie das Gericht urteilen wird, wenn beide Ehepartner noch leben und im zweiten Schritt der andere Ehepartner auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen wird oder wenn die erste Klage auf den Ehepartner erweitert wird. Da ist prozessual Musik drin. Es bleibt also spannend, ohnehin ist noch abzuwarten, ob Revision eingelegt wird, und der BGH eine weitere Entscheidung vorgelegt bekommt.

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